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Gewaltschutzpaket: Falsche Antwort auf #MeToo


Schon über 10 Jahre ist es her, dass Tarana Burke, eine US-amerikanische Aktivistin, die Bewegung Me Too begründete. Unter der Catchphrase Me Too solidarisieren sich seitdem Opfer sexueller Gewalt und machen seitdem auf deren gesellschaftliche Häufigkeit aufmerksam. Me Too steht für Empathie, Solidarität und Problembewusstsein – Werte, die die österreichische Frauenpolitik der letzten Jahre vermissen lässt.

Dabei besteht dringender Handlungsbedarf: 75% der Frauen* in Österreich geben an, seit dem 15. Lebensjahr sexuell belästigt worden zu sein. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass im Durchschnitt jede dritte Frau* in Österreich bereits einmal von sexualisierter Gewalt betroffen war. Jede Dritte wurde also vergewaltigt, versucht vergewaltigt oder gegen ihren Willen zu sexuellen Handlungen genötigt. In den meisten Fällen gehen sexuelle Übergriffe von Partner*Innen oder Personen aus dem Freundes- und Bekanntenkreis aus. Wenn auch in geringerem Ausmaß, werden auch Männer* Opfer von sexueller Gewalt: ungefähr jeder Elfte gibt an, betroffen zu sein. (BMWFJ, Österreichische Prävalenzstudie zur Gewalt an Frauen und Männern, 2011)

Alarmierende Zahlen, an denen sich trotz der medienwirksamen Me Too-Bewegung wenig geändert hat: im Gegenteil, die Anzeigen wegen Vergewaltigung steigen seit 2015, während die Verurteilungsrate bei Sexualdelikten zuletzt auf 14% sank. (BMI, Polizeiliche Kriminalstatistik, 2014-2018; Task Force Strafrecht, Bericht der Kommission Strafrecht, 2019)

Davon und von einer Frauenmordserie Anfang des Jahres 2019 ließ sich die ehemalige türkis-blaue Koalition zu einer umfassenden Gesetzesänderung im Bereich des Strafrechts und diverser Berufsgesetze motivieren. Dieses „Gewaltschutzpaket“ wurde am 25. Oktober noch kurz vor der Nationalratswahl durchgeboxt. Grundsätzlich ist eine Novelle des Sexualstrafrechts zu begrüßen – schließlich bestehen z.B. gerade bei sexueller Belästigung (besonders im Internet) gravierende Schutzlücken und die geringe Verurteilungsquote bei Sexualdelikten deutet auf ineffizienten rechtlichen Schutz hin. Schon 2018 wurde deshalb vom Innenministerium aus Expert*innen eine Task Force Strafrecht zusammengestellt, um den Änderungsbedarf der strafrechtlichen Regelungen zu evaluieren.

Mit den Vorschlägen der Expert*innen hat das Gewaltschutzpaket allerdings nicht viel zu tun. Es stellt keine Ansätze zur Problemlösung bereit und wirkt lediglich wie eine populistische Maßnahme, um das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu erhöhen. Sowohl von Opferschutzeinrichtungen sowie Jurist*innen hagelte es dementsprechende Kritik. Sehen wir uns die Neuerungen nun im Detail an:

Bei den Änderungen handelt es sich zu einem wesentlichen Teil um Erweiterungen des Strafrahmens für Sexualdelikte. So wurde z.B. die Mindeststrafe bei Vergewaltigung auf zwei Jahre angehoben, die Möglichkeit einer bedingten Haft aufgehoben und die Höchststrafe für Wiederholungstäter*innen auf 20 Jahre gesetzt. Angesichts einer ohnehin schon geringen Verurteilungsrate treffen diese Maßnahmen nicht einmal die Spitze des Eisberges. Es ist davon auszugehen, dass nicht einmal eine von zehn Vergewaltigungen zur Anzeige gebracht wird, und von diesen Anzeigen 14% zu einer Verurteilung führen. Mit ein wenig mathematischem Geschick kommt man also zu dem Ergebnis, dass diese Straferhöhung also nur einen minimalen Bruchteil der Täter*innen trifft. Auch von einem Abschreckungseffekt kann nicht die Rede sein: eine Haftstrafe beeindruckt Gewalttäter*Innen in der Regel nicht und das Ausmaß der Strafe hat keine Auswirkung auf die Anzahl verübter Gewaltverbrechen. Das Strafmaß für Vergewaltigung wurde in Österreich schließlich schon mehrmals erhöht, die Zahl der Taten geht allerdings trotzdem nicht zurück. (BMI, Polizeiliche Kriminalstatistik, 2014-2018)

Eine weitere, heftig kritisierte Neuerung ist die Anzeigepflicht des gesamten Gesundheitspersonals bei einem Verdacht auf eine Vergewaltigung. Wenn Beschäftigte in Gesundheitsberufen bei der Ausübung ihres Berufes auf den Verdacht einer Vergewaltigung stoßen, muss dieser zur Anzeige gebracht werden. Bei dem Begriff der Gesundheitsberufe handelt es sich allerdings um einen vielfältigen: Fachärzt*innen, Psychotherapeut*innen, Gipsassistent*innen, Rettungssanitäter*innen und viele mehr fallen darunter. Bisher bestand eine solche Anzeigepflicht nur bei Verdacht auf gewaltsamen Tod oder schwere Körperverletzung. Zwar ist die Sensibilisierung von Gesundheitspersonal für Sexualdelikte wichtig – schließlich sind Krankenhäuser für Betroffene oft die erste Anlaufstelle, bevor es (wenn überhaupt) zur Polizei geht. Allerdings erschwert die Neuerung die Situation für alle Beteiligten.

Dass Betroffene Sexualdelikte nicht zur Anzeige bringen, kann vielerlei Gründe haben – oft bestehen familiäre Beziehungen zum*r Täter*in bzw finanzielle Abhängigkeiten, oder das Opfer sieht aus Furcht oder Scham von einer Anzeige ab. Die Anzeigepflicht könnte dazu führen, dass Betroffene sich aus Furcht vor einem Verfahren nicht mehr an Ärzt*innen oder Psychotherapeut*Innen wenden wollen. Die Folgen wären, angesichts der körperlichen und psychischen Verletzungen, die Opfer sexueller Gewalt erleiden, dramatisch. Auf der anderen Seite sind nicht alle Beschäftigten in Gesundheitsberufen dafür geschult, mit derartigen Traumata umzugehen. Zwar verfügen Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen über psychologische und psychiatrische Ausbildungen, bei eine*m*r Gipsassistent*in bzw. Rettungssanitäter*in ist das in der Regel nicht der Fall. Das System ist auch für die Seite des Gesundheitspersonals belastend und fehleranfällig.

Das Problem der hohen Dunkelziffer bei Sexualdelikten wird durch die Maßnahme also nicht sachgerecht gelöst. Eine sinnvollere Maßnahme wäre die Weiterleitung Betroffener an Opferschutzstellen wie z.B. Beratungseinrichtungen, wodurch diese eine selbstbestimmte und informierte Entscheidung über ihr weiteres Vorgehen treffen könnten. Weiters ist mehr Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung der Opfer für Anlaufstellen und rechtliche Möglichkeiten notwendig. Auch eine engere Kooperation zwischen Polizei, Opferschutzeinrichtungen und Justiz wäre wünschenswert, denn in vielen Fällen (vor allem bei häuslicher Gewalt) werden Täter*Innen auffällig, bevor die Situation endgültig eskaliert und sind in nicht wenigen Fällen polizeibekannt.

Kommt es schließlich zu einer Anzeige, führt das Verfahren nur selten zu einer Verurteilung. Dies lässt sich dadurch begründen, dass eine Vergewaltigung von der betroffenen Person zu beweisen ist, was in vielen Fällen schwer zu bewerkstelligen ist. Vor allem bei Taten im Familien- oder Freundeskreis bzw. in der Partnerschaft gibt es nur selten Tatzeug*innen und Spuren von Gewalt sind nur kurz nach der Tat feststellbar. In vielen Fällen steht es dann Aussage gegen Aussage und das Verfahren muss eingestellt werden. Deshalb wäre es notwendig, bei Verdacht auf ein Gewaltdelikt und besonders bei Sexualdelikten sofort ein medizinisches Gutachten, im besten Fall durch eigens geschultes Personal desselben Geschlechtes durchführen zu lassen, wenn das Opfer dem zustimmt. Darüber hinaus bestehen in Österreich einige durchaus fortschrittliche Regelungen zur Aufklärung von Sexualstraftaten, wie z.B. die Möglichkeit der Vernehmung über Video, Einzelvernehmung des Opfers sowie Prozessbegleitungen. Diese werden aber selten in Anspruch genommen, einerseits weil wenig über sie informiert wird, andererseits vermutlich aufgrund von Überlastung von Polizei und Justiz.

Alle diese Maßnahmen, die Opfern eine höhere Chance bieten würden, Gerechtigkeit zu erfahren und Täter*innen angemessen zu bestrafen, haben eines gemeinsam: sie kosten Geld. Geld, das die türkis-blaue Ex-Regierung bekanntlich nicht in den Opferschutz (und Schutz benötigen in der Regel Frauen*) investierte. Im Gegenteil: in Hinblick auf die gravierenden Förderungskürzungen für Frauen*vereine (die durch Beratung und Bewusstseinsbildung wichtige Arbeit auf dem Gebiet der Gewaltprävention leisten) wirkt das neue Gewaltschutzpaket wie ein schlechter Witz.

Statt effektive Gewaltprävention durch Budgeterhöhungen für Opferschutzeinrichtungen und Justiz zu ermöglichen, wird der Bevölkerung durch höhere Strafandrohungen Frauenpolitik vorgegaukelt. Anstatt Problembewusstsein zu schaffen und Lösungsansätze zu bieten, wird Opfern in Bezug auf ihre rechtliche Situation das Selbstbestimmungsrecht genommen.

In diesem Zusammenhang kann man wohl nur auf ein Wiederaufleben von Me Too in der breiten Bevölkerung hoffen, das wieder Aufmerksamkeit auf ein großes kleingeredetes Problem lenkt. (Sexuelle) Gewalt, vor allem an Frauen*, ist in Österreich Alltag und solange sich der Gesetzgeber auf die Erlassung von Scheinmaßnahmen beschränkt, wird sich das nicht ändern. Wieder werden Aufgaben in der Frauenpolitik und im Opferschutz auf Organisationen sowie Bewegungen wie abgewälzt. Dieser Zustand ist nicht tragbar und es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber die Dringlichkeit des Problems erkennt. Bis dorthin können wir Opferschutzeinrichtungen und Bewegungen wie Me Too danken, die Gewaltbetroffenen nach Kräften Hilfe, Halt und Solidarität bieten. Diese bieten auch Möglichkeiten, z.B. durch Freiwilligenarbeit aktuellen politischen Entscheidungen entgegenzuwirken. Doch auch einfach durch Solidarisierung mit Betroffenen und Bewusstseinsschaffung für das Thema sexuelle Gewalt lässt sich schon viel erreichen. Genau in diese Kerbe schlägt auch Me Too - denn wenn wir sexuelle Gewalt zum Gesprächsthema machen (sei es untereinander oder mit der Öffentlichkeit), können wir auch eine Verbesserung der rechtlichen Situation Gewaltbetroffener erzielen.

Eine positive Änderung möchte ich dennoch hervorheben: von nun an haben Betroffene mit geringen Deutschkenntnissen vor Gericht einen Anspruch auf eine*n* Dolmetscher*in desselben Geschlechts. Vor allem für Frauen*, die in patriarchalischen Strukturen leben, ist das eine große Erleichterung. Die Maßnahme zeugt von Empathie und Problembewusstsein. Davon wäre allerdings angesichts der Frauenpolitik der letzten Jahre noch weit mehr gefragt.

Anm: Sexualisierte Gewalt, vor allem im eigenen Haushalt, wird überwiegend von Männern* gegen Frauen* ausgeübt und ist ein strukturelles Problem. (BMWFJ, Österreichische Prävalenzstudie zur Gewalt an Frauen und Männern, 2011) Trotzdem haben wir uns für gendergerechte Sprache entschieden, da grundsätzlich jedes Geschlecht von Gewalt betroffen sein kann, und auch ist.

Veronika Marhold studiert Rechtswissenschaften in Wien und engagiert sich bei HeForShe und dem Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser für Gendergleichstellung.

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