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Der Sigi-Maurer-Prozess – Recht einfach erklärt

Am Montag den 16. September fand erneut eine Verhandlung im Prozess gegen Sigi Maurer statt. Das Oberlandesgericht Wien hatte das erstinstanzliche Urteil vom letzten Jahr, in dem Maurer zu Zahlungen in Höhe von EUR 7.000 verurteilt worden war, aufgehoben. Nun wird der Fall am Wiener Landesgericht für Strafsachen neu verhandelt. Aus diesem Anlass möchte ich einen Überblick über die rechtliche Ausgangslage und das erstinstanzliche Urteil geben und außerdem die rechtlichen Möglichkeiten aufzeigen, die Frauen bei sexueller Belästigung im Netz zur Verfügung stehen.

Der Sachverhalt

Die ehemalige Nationalratsabgeordnete Maurer hatte im Mai obszöne und sexuell explizite Nachrichten vom Facebook-Messenger-Profil des Besitzers eines Biergeschäfts erhalten, nachdem sie tagsüber an dessen Geschäft vorbei gegangen war. Unter den Nachrichten fand sich zum Beispiel folgende: „Du hast auf meinen Schwanz geguckt als wolltest du ihn essen. Bitte wenn Du nächstes Mal vorbei kommst darfst Ihn ohne Worte in deinen Mund nehmen und ihm bis zum letzten Tropfen aussaugen, zahle auch 3 Euro mehr, wenn Du nix verschwendest !!!“ (sic!) Daraufhin veröffentlichte Maurer Screenshots der Nachrichten auf ihrem Twitter Account mit der Anmerkung: „Jetzt scheint mir das Geschäft von Herrn L. generell nicht von großem Erfolg gekrönt zu sein, aber ich dachte mir in einer Stadt voller Hipster schadet es ja nicht darüber zu informieren, bei welchem frauenverachtenden Arschloch man potenziell sein (craft) Bier kauft."

Der Prozess

Der Besitzer des Biergeschäfts erhob daraufhin Anklage wegen übler Nachrede und Kreditschädigung gegen Maurer. „Üble Nachrede“ ist der Vorwurf einer verächtlichen Gesinnung, unehrenhaften Verhaltens oder Verhaltens gegen die guten Sitten zumindest gegenüber einer dritten Person. Stellt sich der Vorwurf als wahr heraus, ist die Handlung nicht strafbar. Wegen „Kreditschädigung“ macht sich strafbar, wer vorsätzlich falsche Tatsachen verbreitet, und dadurch den Erwerb oder das Berufsleben einer Person schädigt. Bei beiden Delikten handelt es sich um sogenannte „Privatanklagedelikte“. Im strafrechtlichen Normalfall leitet die Staatsanwaltschaft, nachdem sie Kenntnis von einer möglichen Straftat erlangt hat, ein Ermittlungsverfahren ein und bringt die Handlung zur Anklage. Beim Privatanklagedelikt hingegen kommt es nur dann zu einem Prozess, wenn die betroffene Person (in diesem Fall der Bierladenbesitzer) Anklage beim zuständigen Gericht erhebt.

Dies tat der Bierladenbesitzer und behauptete, dass die Nachrichten zwar von seinem Profil gekommen seien, aber er diese nicht selbst geschrieben und verschickt habe. Da der Computer in seinem Geschäft frei zugänglich gewesen sei, habe jemand anderes sich dessen bedient und die Nachrichten an Maurer versandt. Maurer habe sich deshalb der üblen Nachrede und der Kreditschädigung schuldig gemacht, da sie auf Twitter ihm persönlich den Versand der Nachrichten vorgeworfen hatte, obwohl er nicht deren Verfasser gewesen sei.

Wie erwähnt, bleiben Vorwürfe an eine Person straffrei, sofern sich herausstellt, dass diese tatsächlich wahr sind. Maurer fand sich deshalb in der recht paradoxen Situation wieder, beweisen zu müssen, dass die Nachrichten tatsächlich vom Bierladenbesitzer verfasst worden waren.

Das Urteil

Der Richter sprach Maurer zwar vom Vorwurf der Kreditschädigung frei, da sie die Nachrichten nicht in der Absicht veröffentlicht hatte, den Bierladenbesitzer zu schädigen. Sie habe ja tatsächlich geglaubt, dass dieser die Nachrichten veröffentlicht hätte. Allerdings wurde Maurer wegen übler Nachrede zu einer Strafzahlung von EUR 3000 (an den Staat) sowie einer Zahlung von EUR 4000 an den Kläger verurteilt. Zudem hatte sie die Prozesskosten zu tragen. Der Richter begründete das Urteil damit, dass – obwohl er dem Kläger „kein Wort glaube“ – der Tatbestand der üblen Nachrede gegeben sei. Maurer sei es nicht gelungen, den „Wahrheitsbeweis“ zu erbringen (ergo zu beweisen, dass der Bierladenbesitzer tatsächlich die Nachrichten verschickt hatte). Aufgrund ihrer großen Reichweite auf Twitter hätte Maurer auch die journalistische Sorgfaltspflicht einhalten und zumindest nachfragen müssen, ob die Nachrichten tatsächlich vom Kläger verfasst worden waren.

Ein Fehlurteil?

Obwohl es paradox wirken mag, dass Maurer als Betroffene von sexueller Belästigung letztlich auch noch bestraft wird, ist das Urteil zumindest formell nicht falsch. Der Tatbestand ist erfüllt – Maurer hatte dem Bierladenbesitzer schließlich über Twitter öffentlich unsittliches Verhalten vorgeworfen. Dies ist aufgrund der Screenshots auf Twitter auch leicht objektiv feststellbar. Beim Wahrheitsbeweis wird es schon etwas komplizierter. In Österreich gilt für Richter*innen auch im Strafrecht der „Grundsatz der freien Beweiswürdigung“. Das bedeutet, dass ein*e Richter*in – natürlich nach bestem Wissen und Gewissen – frei entscheiden kann, was vor Gericht als Beweis ausreicht, oder eben auch nicht. Wenn der Richter in Maurers Fall also entschieden hat, dass ihm die Beweisversuche (durch Orthografievergleich etc.) Maurers nicht ausreichten, ist das juristisch korrekt. Allerdings könnte ein*e andere*r Richter*in den Fall durchaus anders sehen.

Meines Erachtens ist es widersprüchlich, wie der betreffende Richter zu behaupten, dem Kläger „kein Wort zu glauben“ (und sogar eine Anzeige wegen vermuteter Falschaussage zu erstatten) und gleichzeitig den Wahrheitsbeweis als nicht erbracht zu sehen. Schließlich wurden die Anforderungen an den Wahrheitsbeweis derart hoch angesetzt, dass es für Maurer quasi unmöglich war, diesen vor Gericht zu erbringen. Ohne tatsächlich neben dem Bierladenbesitzer gestanden zu sein, während dieser die Nachrichten verfasste, konnte Maurer unmöglich mit vollkommener Sicherheit nachweisen, dass die Nachrichten vom Kläger stammten. Auf der anderen Seite reichte es für den Bierladenbesitzer aus, zu behaupten, dass sein Computer frei zugänglich sei und die Nachrichten von jedermann stammen könnten, um den Prozess (vorerst) zu gewinnen. Dies lässt Lebensnähe in der Beweiswürdigung vermissen. Dass sowohl Laptop als auch das Facebook-Profil dem Bierladenbesitzer gehörten, ist ein starkes Indiz dafür, dass die Nachrichten auch tatsächlich von ihm stammen. Sich mit dem Argument „es hätte irgendwer sein können“ aus der Affäre zu ziehen, darf meines Erachtens nicht ausreichen. Vielmehr hätte der Bierladenbesitzer konkrete Umstände nennen müssen, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, dass die Nachrichten von einer anderen Person stammten. Insofern ist das Ersturteil in der Causa zwar juristisch korrekt, aber hinsichtlich der Beweiswürdigung durchaus diskutabel.

In der Berufung wurde das Urteil des Erstgerichtes nun vom OLG Wien aufgrund von Zweifeln an der Beweiswürdigung des Erstrichters aufgehoben. Die Causa geht nun zurück in die erste Instanz und wurde am Montag neu verhandelt.

Was tun bei sexueller Belästigung im Netz?

Das Urteil in der Causa stand auch wegen seiner symbolischen Bedeutung stark in der Kritik – eine Frau wehrte sich gegen sexuelle Belästigung im Netz, zog vor Gericht trotzdem den Kürzeren und wurde sozusagen zweimal zum Opfer. Tatsächlich ist dies eine erschreckende Botschaft an Menschen, die derartigen Nachrichten im Internet empfangen. Es ist ihnen nämlich nicht zumutbar, sich als Betroffene von sexueller Belästigung mit strafrechtlichen Details beschäftigen zu müssen, um sich nicht selbst strafbar zu machen. Allerdings ist die Schuld meines Erachtens nicht beim Richter zu suchen (wie gesagt war sein Urteil – trotz diskutabler Beweiswürdigung – formell nicht falsch). Dieser wendet schließlich nur geltendes Recht an. Leider sind die Rechtsbehelfe, die Frauen bei sexueller Belästigung im Netz zur Verfügung stehen, ineffektiv. Hier besteht wohl Handlungsbedarf seitens des Gesetzgebers.

Wie hätte sich Maurer also gegen die Nachrichten wehren können? In diesem Fall wäre eine zivilrechtliche Unterlassungsklage wohl möglich gewesen, da Maurer durch die Nachrichten rechtswidrig in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt wurde. In diesem Fall hätte Maurer auch nicht beweisen müssen, dass die Nachrichten tatsächlich vom Bierladenbesitzer stammten – auch gegen den „mittelbare Störer“, also eine Person, die die Störung hätte verhindern können, kann ein Unterlassungsanspruch bestehen. Selbst wenn der Bierladenbesitzer also tatsächlich nicht Verfasser der Nachrichten gewesen wäre, hätte er den Versand der Nachrichten durch eine dritte Person verhindern können – indem er zum Beispiel seinen Computer sicher verwahrt. Im Fall der zivilrechtlichen Klage trüge Maurer aber das volle Prozess(kosten)risiko. Diese Möglichkeit sich zur Wehr zu setzen steht wohl realistischerweise nur einer begrenzten demografischen Gruppe zur Verfügung und ist rechtlich komplexer als die recht simple Erstattung einer Strafanzeige. Das Problem ist, dass Übergriffe im Internet in Österreich nur unter bestimmten Umständen strafbar sind.

Eine sexuelle Belästigung im „klassischen Sinne“ (§ 184i StGB) liegt schon deshalb nicht vor, weil es für diese tatsächlich zu Körperkontakt kommen muss.

Ein Delikt, das im Zusammenhang mit Straftaten im Internet oft genannt wird ist, ist die gefährlichen Drohung. Diese ist die „Drohung mit einer Verletzung an Körper, Freiheit, Ehre oder Vermögen, die geeignet ist, dem Bedrohten begründete Besorgnis einzuflößen“ (§ 74 Abs 1 Z 5 StGB). Unter diese Regelung fallen vor allem sehr drastische Äußerungen; ein Beispiel wäre die Bedrohung mit dem Tod. In der bisherigen Rechtsprechung wurden Nachrichten, wie sie Maurer erhielt deshalb als zu vage eingestuft, um tatsächlich als gefährliche Drohung zu gelten. Es ist zwar nicht erforderlich, dass der Täter tatsächlich vorhat, seine Drohung wahr zu machen. Allerdings muss die Drohung geeignet sein, um das Opfer tatsächlich befürchten zu lassen, dass dieser die Drohung wahr machen wird. Zwar waren die Nachrichten, die Maurer erhielt herabwürdigend und obszön, aber für eine gefährliche Drohung wohl nicht konkret genug. Eine Anzeige gegen den Bierladenbesitzer wäre angesichts der bestehenden Rechtsprechung nicht erfolgreich gewesen.

Auch eine strafrechtliche Klage wegen Ehrenbeleidigung (§ 115 StGB) stellt bei sexualisierten Übergriffen eine Möglichkeit dar – zum Beispiel bei sexueller Belästigung durch mündliche Äußerungen, bei der es aber nicht zu Körperkontakt kommt. Voraussetzung für die Klage ist eine öffentliche Beschimpfung oder Androhung der körperlichen Misshandlung. In Mauers Fall würde die Klage wohl an der Öffentlichkeit der Beleidigung scheitern – damit der Tatbestand der Ehrbeleidigung erfüllt ist, müssen abgesehen von Täter und Opfer noch drei weitere Personen die Beleidigung mitbekommen. Dies ist bei privaten Nachrichten auf Facebook allerdings nicht der Fall. Zudem ist die Ehrbeleidigung (wie auch üble Nachrede und Kreditschädigung) ein Privatanklagedelikt und wird nur auf Bestreben der betroffenen Person strafrechtlich verfolgt. Dadurch trägt auch in diesem Fall der*die Kläger*in das volle Prozessrisiko, wodurch Betroffene oft vor einer Klage zurückscheuen.

Auch der Cybermobbingparagraf (§ 107c StGB) hätte Maurer nicht weitergeholfen. Der Tatbestand ist erfüllt, wenn eine Person eine andere über längere Zeit in der Ehre verletzt und dies für mehrere Menschen wahrnehmbar ist bzw eine Person persönliche Tatsachen oder Bildaufnahmen einer anderen Person veröffentlicht. In Maurers Fall fand die Ehrbeleidigung weder über einen fortgesetzten Zeitraum noch öffentlich statt. Auch in diesem Fall wäre eine Strafanzeige erfolglos geblieben.

Es zeigt sich, dass es niederschwelligere und effektivere Rechtsbehelfe braucht, die Betroffenen zur Verfügung stehen, um sich gegen sexuelle Übergriffe im Netz zu wehren. Hier ist der Gesetzgeber gefragt und eine Verschärfung des Sexualstrafrechts wäre wohl wünschenswert. Es lässt Wertungskonsistenz vermissen, dass ein Taschendiebstahl strafrechtlich relevanter ist, als sexuelle Übergriffe im Internet, die ihre Opfer unter Umständen schwerst psychisch belasten. Umso wichtiger ist es, dass Sigi Maurer sich gegen einen solchen Übergriff zur Wehr setzt und diese gesetzliche Schutzlücke aufzeigt. Sollte das Gericht in diesem Fall zugunsten Maurers entscheiden, könnte das ein Exempel statuieren, dem weitere Entscheidungen folgen könnten. Es zeigt sich, dass für Betroffene von sexuellen Übergriffen im Netz durchaus auch rechtlich Hoffnung besteht. Gerade in dieser Situation ist es wichtig, zu derartigen Nachrichten nicht zu schweigen, sondern auf sie aufmerksam zu machen, um auch auf den mangelnden rechtlichen Schutz hinzuweisen. Es bleibt zu hoffen, dass in dieser Instanz ein Urteil gefällt wird, dass ein weniger trübes Bild für die rechtliche Lage Betroffener von sexueller Belästigung zeichnet.

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