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Street Harassment: Kavaliersdelikt oder Gewalttat?

Originalbeitrag vom 02.09.2014 zur Verfügung gestellt von mokant.at

Der Ort ist anders, die Situation ähnlich. In Gedanken oder im Gespräch vertieft, achtet man nicht auf seine Umgebung und hinter einem ertönt plötzlich ein Pfiff, ein Ruf. „Hey Schöne, hey!“ – Manchmal folgen sogar ungewollte Berührungen und die Reaktion ist selten positiv; es ist peinlich vor den Anwesenden, es ist beschämend für einen selbst. Ob auf dem Weg zur Uni, in der U-Bahn, in der Lieblingsbar. Auf dem Weg in die Gasse zur eigenen Wohnung gellen einem Rufe hinterher: „Wie schaust denn du aus?“ Dieses Gefühl, das folgt, dieses Ziehen bleibt den ganzen restlichen Tag über im Magen und als man das Problem endlich mit Vertrauten anspricht, gibt es lediglich ein „Sei nicht so zimperlich, passiert halt!“ oder „Hättest du dich halt nicht so angezogen!“ zu Antwort. Und man fragt sich selbst, haben sie Recht? Habe ich das hinzunehmen?

Definition und Zahlen Solche Vorfälle sind im Alltag häufig zu finden, und werden als Street Harassment bezeichnet, oder zu Deutsch Belästigung im öffentlichen Raum, oft sexueller Natur, wie Mag. Martina K. Sommer vom 24-Stunden-Frauennotruf der Stadt Wien erklärt. Sowohl in Österreich als auch in der EU seien solche Vorkommnisse keine Einzelfälle mehr. Der Definitionsrahmen ist klar, denn wenn sich das Opfer subjektiv belästigt fühlt, ist von Street Harassment zu sprechen. Genaue Zahlen zu Street Harassment lägen nicht vor, denn nicht viele Opfer suchen rechtlichen Beistand nach öffentlicher Belästigung. Eine Prävalenzstudie aus dem Jahr 2011 bietet jedoch einen ungefähren Einblick in die Sachlage von Übergriffen sexueller Natur: 43 Prozent der befragten Frauen und ein Drittel der befragten Männer in Österreich geben an, sexuelle Belästigung schon erlebt zu haben. Trotzdem wird Street Harassment allgemein als Kleinigkeit abgetan. Mag. Sommer hierzu: „Es liegt mitunter an der Gesellschaft als Ganzes. Wir Menschen haben Auffassungen wie ‚Freu dich doch, dass du Aufmerksamkeit bekommst‘ oder ‚Es ist doch nur ein Witz‘ aufgesogen und werden danach sozialisiert. Wenn die Grenzüberschreitung dann bei einem selbst erfolgt ist, merkt man plötzlich, dass es in keiner Weise ein Witz ist.“

Opfer wie du und ich Nicole ist eines der Opfer von Street Harassment. Sie ist 21, studiert und arbeitet nebenher als Verkäuferin bei einer Modekette. Sie war an den verschiedensten Orten betroffen. „Sicher einmal täglich, wenn ich draußen auf der Straße gehe. Und wenn ich arbeiten bin, bekomme ich auch öfter Bemerkungen. So richtig bekomme ich das gar nicht mehr mit, ich versuche das zu ignorieren“. Seit einigen Jahren fallen ihr Zurufe, Hinterherpfeifen oder das Schnalzen der Zunge ihr gegenüber auf. „Man kommt sich vor wie ein Schaf, oder ein Pferd“. Was hier amüsant klingt, ist es für sie keinesfalls: „Es ist auf jeden Fall kein Kompliment, ich fühle mich dann einfach immer unwohl. Vor allem vor Freundinnen. Ich hoffe dann immer, dass mir keiner nachgeht. Denn da könnte ich nichts machen.“

Auch Armin, 24, war schon betroffen von Street Harassment, wenn auch in anderer Form als Nicole. Als er im Alter von 15-17 bei seinen Großeltern in der Strandbar aushalf, wurde er regelmäßig von Mädchen bedrängt. Anfangs genoss Armin die Aufmerksamkeit, später jedoch wurden die Anmachversuche zunehmend unangenehmer. „Zwei Mal hat mir eine Gruppe von Mädchen sogar mein Handy weggenommen um sich selbst SMS zu schicken und meine Nummer zu bekommen. Später habe ich dann einfach in der Küche anstatt draußen gearbeitet, um ihnen zu entkommen“.

Geschlechterunterschiede bei Opfern und Tätern Frauen als Opfer sind durchaus bekannt. Mag. Martina K. Sommer bestätigt, dass die Belästigung von Frauen jedoch oft abgetan wird durch verschiedene Ausreden, wie ihre aufreizende Kleidung oder ihr fehlendes Wehren. Betroffene Frauen werden oft als weich besaitet oder prüde bezeichnet. Männer haben schließlich keine schlechten Absichten, wollen nur etwas angeben vor Freunden, es sei ein evolutionär-bedingter Fortpflanzungsinstinkt. „Sexuelle Belästigung hat nichts mit sexueller Anziehung zu tun. Sexuelle Belästigung ist ein Ausdruck von Gewalt und als solche zu benennen und zu verfolgen. Wenn es die Logik ist, dass Männer sich durch solche herabwürdigende, übergriffige Äußerungen attraktiv machen wollen, dann gibt es einen Fehler im System. Niemand fragt sich, ob für Personen, die Lust auf den Kick beim schnellen Autofahren haben, die Verkehrsregeln plötzlich nicht mehr gelten sollen“, sagt Mag. Sommer.

Street Harassment bei Männern ist weniger geläufig. Auch hier gibt es sexuelle Belästigung, jedoch finden sich hier zusätzlich einige andere Motive. „Angriffe erfolgen häufig aus Langeweile oder weil der Mann ‚anders‘ erscheint. Auch homosexuelle Männer haben oft mit Street Harassment zu kämpfen, wenn sie beispielsweise Händchen haltend auf der Straße gehen“, sagt Mag. Hubert Steger von der Informationsstelle für Männer in Wien. „Im Vergleich zu Frauen werden an Männern allerdings eindeutig mehr Gewalttaten im öffentlichen Raum verübt. In solchen Fällen erstatten die meisten Männer jedoch keine Anklage, aus Scham vor Bekannten und auch vor sich selbst.“ Auch diese Scham lässt sich auf gesellschaftliche Grundprobleme zurückführen, erklärt Hubert Steger. „In unserer Gesellschaft ist es Männern einfach nicht erlaubt, schwach zu sein. Es gibt auch weitaus weniger Anlaufstellen für Männer bei Gewalt oder Belästigung, als für Frauen.“

Mag. Sommer gibt jedoch zu bedenken: „Wir haben einen klaren Männerüberhang was die sexuelle Belästigung anderer betrifft.“ Tatsächlich gab es im Jahr 2013 bei 12 von 13 Verurteilungen wegen sexueller Belästigung männliche Schuldige. „Dies zeigt, dass eine Geschlechter-Gap da ist, die mit einer gesellschaftlichen Nicht-Gleichstellung zu tun hat. Viele Männer glauben nach wie vor, einen Macht- und Besitzanspruch gegenüber Frauen zu haben. “

Was tun, wenn betroffen? In Wien gibt es verschiedene Anlaufstellen für Frauen und Männer, um Hilfe zu suchen. Der 24-Stunden-Frauennotruf der Stadt Wien und die Männerberatung Wien sind nur zwei von vielen qualifizierten Möglichkeiten: Hier wird den Opfern psychologische oder juristische Hilfe angeboten. Durch die hohe Anonymität sind Täter oft nicht auffindbar; trotzdem können Frauen wie Männer Anzeige erstatten. Außerdem ist der Diskurs mit Vertrauten wichtig, um sich auszusprechen aber auch für Freunde und Freundinnen solche Taten ins Blickfeld zu rücken. Zudem ist die richtige Reaktion auf Belästigung im öffentlichen Raum wichtig. Wenn beispielsweise ein Mann in der U-Bahn scheinbar unabsichtlich zu lange seine Hand auf die Brust einer Frau legt, ist laute Reaktion und das aufmerksam machen der Tat für die Umstehenden essentiell. Auch Mag. Hubert Steger rät, Personen im Umkreis anzusprechen. „Es reicht nicht, einfach nach Hilfe zu rufen. Man muss gezielt Leute ansprechen und sie auf den Vorfall aufmerksam machen.“ „Vor allem“, sagt Mag. Martina K. Sommer, „geht es aber darum, die eigenen Gefühle und die eigene Wahrnehmung ernstzunehmen.“

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